Dieser Wire-Beitrag wurde ursprünglich auf dem PRIF Blog veröffentlicht.
Die Affäre um manipulierte Abgaswerte, die die Autoindustrie seit 2014 ins Schwanken gebracht hat, wirkt bis in deutsche Verwaltungsgerichte: Wiederholt klagt die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf die Einhaltung von Stickoxid-Grenzwerten, Fahrverbote werden angeordnet. Regierungs- und Oppositionsparteien fordern nun die Aberkennung der Gemeinnützigkeit und des Verbandsklagerechts sowie Streichungen von Fördermitteln des Vereins, der sich wiederholt in den Fokus der öffentlichen Debatte und Kritik gebracht hat. Obwohl die DUH legal und gemäß ihrer juristisch anerkannten Satzung handelt, wird die Debatte um sie hoch emotional geführt und weist auf die bedenkliche Tendenz hin, zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend politisch einzuschränken.
Die 1975 gegründete DUH, die momentan in aller Munde ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, „Natur- und Umweltschutz sowie die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung […] zu fördern”. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei der DUH um einen eingetragenen, gemeinnützigen und klageberechtigten Verein. Mit 361 Mitgliedern und 5.280 Fördermitgliedern ist er zum einen auf Spenden, zum anderen auf Bundesmittel angewiesen. Seitens der Ministerien für Umwelt, Bildung, Wirtschaft, Entwicklung und Landwirtschaft beliefen sich die Fördersummen für 74 DUH-Projekte im Zeitraum von 2000 bis 2018 auf jeweils zwischen 17.000 und 1,6 Millionen Euro.
Da sich die DUH jedoch auch durch Umweltklagen finanziert, wurde sie jüngst öffentlich von Seiten eines CDU-Politikers als „grün angestrichene[r], semikriminelle[r] Abmahnverein“ verunglimpft. Abmahnen und klagen darf die DUH hingegen durchaus: Laut Unterlassungsklagegesetz ist sie – wie Dutzende weitere Vereine auch – eine sogenannte „qualifizierte Einrichtung“ und hat damit ausdrücklich das Recht, bei Verstößen als Stellvertreterin für andere vor Gericht zu ziehen.
Trotz dieser Tatsache überbieten sich Regierungs- und Oppositionsparteien seit Monaten mit politischen Forderungen, die Rechte der DUH einzuschränken. In der Debatte wird dabei eines schnell vergessen: Die DUH klagt nicht aus Willkür, auch, wenn sich dies beispielsweise in der Online-Petition eines KfZ-Mechanikers und ehemaligen Alfa-Landtagskandidaten ganz anders anhört. Die Petition auf Aberkennung der Gemeinnützigkeit der DUH wurde über 162.000 Mal unterschrieben, stößt also auf Resonanz. Die DUH beruft sich hingegen unter anderem auf die „Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen“ der Bundesregierung (39. BImSchV), die die Umsetzung der EU-Richtlinie 2008/50/EG über „Luftqualität und saubere Luft für Europa“ darstellt. Die Kritik der DUH an deutlich zu hohen Stickoxidwerten stützt sich damit auf eine solide Basis.
Attacken aus der Politik
Auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2018 forderte die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU (MIT) in einem Initiativantrag, der DUH zukünftig keine Fördermittel aus dem Bundeshaushalt mehr zukommen zu lassen. Bereits etatierte Gelder sollten auf Eis gelegt werden. Grund hierfür ist die Auffassung, die DUH habe „sich mit einem sehr kritikwürdigen Verhalten auf geschäftsmäßiges Abmahnwesen konzentriert“, es ginge „weniger um den Satzungszweck des Umweltschutzes, dafür mehr um das Erzielen von Einnahmen”. Der DUH-„Klagefeldzug“ sei zudem „eher als PR-Aktion zu Lasten Dritter, denn als aktiver Beitrag zum Umweltschutz zu werten“. Mit Blick auf die DUH betonte die Sprecherin für rechts- und verbraucherpolitische Fragen der Union zudem, eine Diskussion über „Natur- und Umweltschutz sowie die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung […] zu fördern“, sei wichtig.
Union, AfD und FDP plädieren zudem dafür, dem Verein den Status der Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Zwar hatte das zuständige Finanzamt der DUH diesen Status erst erneut bestätigt und bis August 2023 verliehen, dennoch kritisierte ein AfD-Landtagsabgeordneter, die DUH finanziere sich „über Abmahnungen kleiner Autohändler“ und spiele sich „einmal mehr als Nebenregierung auf“. Das Konzept der DUH, des sogenannten „Öko-Abzocker-Komplexes“, sei vor allem eins: Ein „lukratives Beschäftigungsprogramm für Juristen“ und daher auch nicht gemeinnützig. Auch in der FDP wird infrage gestellt, ob Einnahmen aus Klagen mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sind: Die DUH bewege sich „durch ihr Abmahn-Finanzierungsmodell ein Stück neben dem von der Abgabenordnung gedeckten Zweck einer Gemeinnützigkeit“, heißt es.
Folgen für die DUH
Mittlerweile wird zudem verstärkt das Verbandsklagerecht ins Visier genommen. Aufbauend auf Forderungen der CDU nach einer Verschärfung des Verbandsklagerechts im Dezember 2018, reichte die AfD Anfang Februar 2019 einen Gesetzentwurf ein, nach dem dieses ausschließlich Vereinen mit einer Mitgliederzahl von mindestens einem Tausendstel der Wahlberechtigten ihres Aktionsbereiches zugeteilt würde. Solche Forderungen könnte die DUH derzeit nicht erfüllen.
Die Umsetzung der Forderungen hätte drastische Folgen für die DUH. Die Streichung der Bundesmittel beispielsweise würde sie finanziell stark treffen. Würde das Finanzamt den Gemeinnützigkeitsstatus aberkennen, mit dem Spendenquittungen zur steuerlichen Absetzung ausgestellt werden können, würde die Bereitschaft zu spenden auf Dauer vermutlich deutlich zurückgehen. Zudem entstünden Mehrkosten durch den Wegfall steuerlicher Vergünstigungen und gegebenenfalls sogar Steuernachzahlungen in unbekannter Höhe. Würde der DUH zudem noch das Verbandsklagerecht in Umweltangelegenheiten entzogen, wäre ihr damit im Grunde die Existenzgrundlage genommen.
Zurückhaltung aus den Ministerien
Trotz der Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel, die DUH auch nach der offiziellen Feststellung des Gemeinnützigkeitsstatus durch das Finanzamt „regierungsseitig anschauen“ zu lassen, üben sich sowohl das SPD-geführte Umweltministerium als auch das CDU-geführte Wirtschaftsministerium in Zurückhaltung. Kooperationen mit der DUH würden nicht vor Vertragsende beendet, heißt es beispielsweise aus dem Wirtschaftsministerium. Zudem stünden die Forderungen im klaren Widerspruch zum „Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung“, so ein Sprecher des Umweltministeriums.
Für eine Aberkennung müssten beispielsweise „verfassungsfeindliche Aktivitäten“ vorliegen, oder es müsse „grob gegen ordnungsgemäße Rechnungsführung verstoßen” werden. Bei der DUH sei jedoch bisher in allen Förderungen „[e]ine ordnungsgemäße Rechnungsführung“ erkennbar. Grundsätzlich sei zudem „das zivilgesellschaftliche Engagement von Verbänden wie der DUH, die sich für Gemeinwohlinteressen einsetzen, zu begrüßen“.
Auch das zuständige Finanzamt Singen scheint keinen Nachbesserungsbedarf in Bezug auf seine Entscheidung zur Gemeinnützigkeit der DUH zu sehen. Da das Gemeinnützigkeitsrecht keine öffentliche Transparenz verlangt – es fällt unter das Steuergeheimnis – ist die DUH nicht verpflichtet, genaue Angaben zu ihren Finanzen zu machen. Zudem bestehen keine Zweifel, dass sich die DUH dem gemeinwohlfördernden Ziel des Umweltschutzes verschrieben hat. Das Finanzamt ist in Fällen wie diesen zuständig, da sichergestellt werden soll, dass zivilgesellschaftliche Organisationen unabhängig bewertet und keiner Willkür ausgesetzt werden.
Zivilgesellschaft in Aufruhr
Zunehmend versetzen die Forderungen aus der Politik auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen in Sorge vor rechtlichen Einschränkungen. Dies ist nicht unberechtigt, erinnert der Fall der DUH doch stark an den als „shrinking“ oder „closing space“ benannten weltweiten Trend, zivilgesellschaftlichen Organisationen Handlungsspielräume zu verkleinern und sie in ihrer Arbeit einzuschränken. In zahlreichen Ländern werden zivilgesellschaftliche Organisationen bereits massiv durch Gesetzesänderungen in Bezug auf ihren Status oder ihre Finanzierung eingeschränkt. Oftmals sind kleine Reformen dabei nur der Beginn einer Reihe von massiven (bürokratischen) Einschränkungen, der sich die Zivilgesellschaft auf lange Sicht ausgesetzt sieht.
Typisch für das „shrinking space“-Phänomen ist das vehemente Vorgehen von Regierungen unter anderem gegen die Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, um zukünftiges (regierungskritisches) Engagement zu unterbinden. Jüngstes Beispiel in Deutschland ist der Fall der Nichtregierungsorganisation Attac: Seit 2014 bemühen sich das Bundesfinanzministerium und das Frankfurter Finanzamt um Aberkennung von dessen Gemeinnützigkeitsstatus. Trotz der Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts Kassel 2016 zugunsten Attacs, urteilte der Bundesfinanzhof München Ende Februar 2019, dass die Aberkennung des Status wegen tagespolitischem Aktivismus rechtens sei. Der Fall muss nun erneut in Kassel verhandelt werden.
Zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse wie die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, die mehr als 100 Vereine und Stiftungen vertritt, beobachten solche Entwicklungen mit zunehmenden Misstrauen. Fälle wie der von Attac würden „nicht als Einzelfälle gesehen. Von deren Gemeinnützigkeitsproblemen und öffentlichen Attacken etwa auf die Deutsche Umwelthilfe fühlen sich alle Organisationen getroffen“, so eine Pressemitteilung Ende März.
Rechtsstaatliche Grundsätze müssen politische Positionsdifferenzen überwiegen
Fälle wie die von Attac oder der DUH verdeutlichen, dass der Druck auf unerwünschte zivilgesellschaftliche Akteure im Sinne des „shrinking space“-Phänomens auch in Deutschland zunimmt und die Grenzen politischer Einmischung und Einflussnahme in einem kritischen Maße ausgetestet werden.
In Bezug auf die aktuellen Forderungen seitens der Regierungs- und Oppositionsparteien muss deutlich gemacht werden: Allein die Tatsache, dass die DUH Umsätze mittels Rechtsverfahren generiert, ist keine ausreichende Begründung für deren generelle Förderunwürdigkeit. Zudem sind politische Positionsdifferenzen kein Grund, ihr die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Weder Parteien, noch die Regierung oder das Parlament haben zu solch einer Entscheidung das Recht, es obliegt allein den Finanzämtern. Diese rechtsstaatliche Kompetenzaufteilung soll die Zivilgesellschaft vor Übergriffen schützen und gilt auch dann, wenn sich über die öffentlichen Transparenz der betroffenen Organisationen streiten lässt. Diese sind in diesem Punkt ohnehin durch das Steuergeheimnis geschützt.
Die Frage ist, welche gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen zu erwarten wären, verlören immer mehr Umwelt- und Verbraucherschutzvereine ihre Klagerechte und damit auch die Möglichkeit, Rechte für Bürgerinnen und Bürger vor Gericht einzuklagen. Klar ist, dass es eine bedenkliche Tendenz gibt, zivilgesellschaftliche Einschränkungen einzufordern, wie der Fall Attac und die anhaltende Debatte um die DUH mehr als deutlich zeigen. Die Luft für zivilgesellschaftliche Organisationen wird zunehmend dünner und das Argument, es ginge darum, genau hinzusehen und einen politischen Dialog zu führen und nicht etwa darum, die DUH „finanziell auszutrocknen“, überzeugt auf Grund der dezidiert politischen Forderungen der vergangenen Monate kaum. Mit der möglichen Verschärfung des Verbandsklagerechts wurde zudem eine weitere Ebene gefunden, auf der zivilgesellschaftliche Rechte unter dem Deckmantel der Transparenz eingeschränkt werden könnten.
Zwar funktionieren Schutzmechanismen wie die klare Kompetenzzuteilung in Bezug auf die Verleihung der Gemeinnützigkeit global betrachtet und im Gegensatz zu Ländern wie Russland oder Aserbaidschan noch verhältnismäßig gut. Dennoch machen die aktuellen Fälle deutlich, dass es höchste Zeit ist, sich ernste Gedanken über die Zukunft der deutschen Zivilgesellschaft zu machen. Denn diese sieht momentan alles andere als rosig aus.
Nora Berger-Kern arbeitet seit Januar 2017 als studentische Hilfskraft für das EDP-Netzwerk in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie ist zudem seit Oktober 2017 Masterstudentin der Internationalen Studien / Friedens- und Konfliktforschung der Goethe Universität Frankfurt am Main und der TU Darmstadt.