Dieser EDP Wire wurde ursprünglich am 27. Februar 2019 auf dem Blog der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung veröffentlicht.
In einem Aufsehen erregenden Urteil hat der Bundesfinanzhof die Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts verworfen, das den Trägerverein des globalisierungskritischen Netzwerks Attac als gemeinnützig eingestuft hatte. Die Entscheidung hat weit über den Einzelfall hinaus Brisanz, insofern sie dem politischen Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen klare Grenzen setzt.
In einem Urteil vom 10. Januar 2019, das heute veröffentlicht wurde, stellt der Bundesfinanzhof klar: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Ein politisches Engagement gemeinnütziger Organisationen ist nur dann zulässig, „wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient“. Dazu gehören die Förderung der Religion, des Sports, des Karnevals und Einiges mehr, die Förderung der Menschenrechte beispielsweise allerdings nicht. Im Gegenteil: Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen, tun üblicherweise genau das, was der Bundesfinanzhof als klar jenseits der Gemeinnützigkeit definiert: Sie setzen sich dafür ein, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“.
Damit ist es amtlich: Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht schränkt die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen in einer Weise ein, die unmittelbar an die restriktiven „NGO-Gesetze“ erinnert, die sich seit einigen Jahren weltweit verbreiten. Wie vielfach dokumentiert, sind zivilgesellschaftliche Organisationen in immer mehr Ländern mit zunehmenden politischen Einschränkungen konfrontiert. Eine beliebte Strategie ist es dabei, NGOs, die Finanzierung aus dem Ausland erhalten, zu verbieten, sich explizit politisch zu engagieren, etwa für Demokratie und Menschenrechte. Wie wir 2018 in einem PRIF Spotlight zum Thema argumentiert haben, ist das Gemeinnützigkeitsrecht in einem wohlhabenden Land wie Deutschland das funktionale Äquivalent zur Auslandsfinanzierung im globalen Süden: „So wie zahlreiche NGOs im globalen Süden, die in der Regel kaum über lokale Spenden und Mitgliedsbeiträge verfügen, auf internationale Unterstützung angewiesen sind, so abhängig sind Organisationen hierzulande von Spenden.“ Und nur Spenden an gemeinnützige Organisationen sind von der Steuer absetzbar.
Attac ist nun nicht die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die von diesem Urteil betroffen ist. Eine Vielzahl anderer Organisationen muss sich nun fragen, ob ihre Tätigkeiten nach diesem Urteil zukünftig noch als gemeinnützig eingestuft werden. Nicht nur das juristische Tauziehen der letzten Jahre und die heute veröffentlichte Entscheidung, sondern auch das politische Klima tragen zu massiver Verunsicherung bei. So stellt beispielsweise die CDU schon seit Monaten öffentlich die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe infrage und fordert nachdrücklich, zu überprüfen, ob die Organisation „noch die Kriterien für die Gemeinnützigkeit erfüllt“. Bundeskanzlerin Merkel hat sich dem Prüfauftrag explizit angeschlossen. Bereits Mitte 2018 stellte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag auf Anpassungen mit Blick auf die Einstufung der Gemeinnützigkeit von Verbänden und hatte dabei insbesondere die Tierrechtsorganisation PETA im Blick. Während Attac noch in der Lage sein mag, einen jahrelangen Rechtsstreit und vielleicht gar den endgültigen Verlust der Gemeinnützigkeit finanziell zu verkraften – kleinere und weniger bekannte zivilgesellschaftliche Organisationen können sich das nicht erlauben und dürften sich nun zweimal überlegen, ob und wie sie sich politisch engagieren.
In Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus mehr als 80 Vereinen und Stiftungen, das sich der Forderung nach „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ verschrieben hat, der Bundestag müsse nun dringend „neue gemeinnützige Zwecke ins Gesetz schreiben“. Entsprechende Vorschläge liegen auf dem Tisch (z.B. hier und hier). Mit Blick auf die internationale Debatte um „NGO-Gesetze“ und andere Einschränkungen ist jedenfalls eines klar: Solange Deutschland das eigene Gemeinnützigkeitsrecht nicht für ein dezidiert politisches Engagement öffnet, das etwa in Gestalt des Einsatzes für die Menschenrechte einen plausiblen Anspruch auf Gemeinwohlorientierung erhebt, darf sich die Bundesregierung nicht wundern, wenn sie auf internationaler Ebene als Verteidigerin zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume nicht mehr ernst genommen wird.