Dieser Artikel wurde ursprünglich am 19.09.2016 in der aktuellen Kolumne des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) veröffentlicht. Der Artikel ist auch auf Englisch verfügbar.
In der Agenda 2030 mit ihren globalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hat die Staatengemeinschaft den Versuch unternommen, universelle Governance-Standards zu definieren. Das Ziel 16 – welches „effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen” sowie „partizipative Entscheidungsfindung” fordert – birgt das Potenzial, sich zu einer nützlichen Richtlinie für internationales Handeln gegenüber politischen Regimen jedweder Couleur zu entwickeln.
Von „Good Governance“ zu SDG 16
Lange Zeit gab es keinen allgemein gültigen Standard, an dem staatliche politische Prozesse gemessen werden konnten, lediglich auf regionaler Ebene, wie z.B. in der Afrikanischen Union. Auf die Begriffe Governance und Good Governance berief sich die internationale Politik zwar hauptsächlich in der Demokratieförderung oder in der Diskussion um die Bereitstellung öffentlicher Güter. Die Grundidee war hier zum einen, dass bestimmte Prinzipien wie die Universalität der Menschenrechte oder Rechenschaftslegung unterstützt werden. Jedoch sollten keine vorgefertigten politischen Modelle gefördert werden („no blueprints“). Doch zum anderen stellte die Governance-Förderung darauf ab, dass diese öffentlichen Güter wie zum Beispiel Gesundheitsversorgung, Bildung oder Umweltschutz sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen, insbesondere privatwirtschaftlichen, Akteuren bereitgestellt werden. Durch diesen Fokus auf Public-Private-Partnerships wurde die Diskussion um universell gültige Standards der Politikgestaltung vermieden.
Während die allgemeine Idee von Public-Private-Partnerships durch SDG 17 gestärkt wird („multi-stakeholder cooperation“), spricht SDG 16 explizit an, wie staatliche Institutionen und politische Prozesse organisiert werden sollen. Damit geht SDG 16 über die Idee von „Good Governance“ hinaus und bezieht sich direkt auf die Art und Weise wie politische Prozesse gestaltet werden sollen. SDG 16 formuliert, dass (politische) Institutionen „auf allen Ebenen“ „effektiv, rechenschaftspflichtig und inklusiv“ sowie Entscheidungsfindung „partizipativ“ stattfinden soll. Somit werden zwei wichtige Dimensionen politischer Systeme (Institutionen und Prozesse) direkt angesprochen. SDG 16 bietet damit eine Grundlage für internationales Handeln bezüglich nationaler politischer Ordnungen, also auch für den Umgang mit autoritären Regimen.
Ein wackliges, aber – immerhin – ein Fundament
Die Basis für eine internationale Antwort auf autokratische Regierungen mittels der SDGs steht – jedoch auf wackligen Beinen. Denn die Schlüsselbegriffe der „effektiven, rechenschaftspflichtigen und inklusiven Institutionen“ und „partizipativen Entscheidungsfindung auf allen Ebenen“ sind offen für Interpretationen. Diese Mehrdeutigkeit ist nicht per se von Nachteil, denn sie eröffnet die Möglichkeit, unterschiedliche kulturelle und historische Traditionen zu berücksichtigen, ohne die zugrunde liegenden Prinzipien – die sich in den Adjektiven ausdrücken – zu opfern. Ob ein partizipativer Prozess am besten über Kommunalwahlen oder direktdemokratisch über das Abhalten öffentlicher Diskussionen mit Konsensfindung durch traditionelle Autoritäten geschieht, ist dann zweitrangig – solange alle Menschen möglichst diskriminierungsfrei teilhaben können. Alle politischen Akteure – inklusive der Zivilgesellschaft – sind nun gefordert die in SDG 16 angelegten Prinzipien in konkrete Politiken zu übersetzen. Dies ist von autoritären Regierungen kaum zu erwarten. Umso mehr muss sich die Governance-Förderung explizit der Frage stellen wie eine Öffnung politischer Institutionen in autoritären Kontexten auf der Grundlage von SDG 16 erwirkt werden kann.
Auslegung – offen und werteorientiert
Wenn in der Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands, die eigenen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht verraten werden sollen, muss ein Spagat gelingen: Einerseits müssen politische Strategien offen sein für lokale und kulturell geprägte Umsetzungen der Governance-Prinzipien. Andererseits müssen sie erkennen, wann diese Prinzipien Ungerechtigkeit, Willkür und Ausbeutung verstärken anstatt sie abzubauen. Aufgrund dieser Erkenntnis können dann diejenigen lokalen Kräfte unterstützt werden, welche sich für tatsächlich effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen einsetzen.
Das SDG 16 stellt damit keinen klaren Bezugsrahmen für einen entschiedenen und konfliktträchtigen Wandel hin zur weltweiten Einführung der Demokratie dar. Aber es gibt ein substantielles Ziel vor, das lokal angepasst und dessen Erreichen international unterstützt werden kann. Es fordert auf, sich intensiv mit den Gegebenheiten zu beschäftigen, legitime Interessen abzuwägen und schnelle Schlussfolgerungen zu vermeiden. Zum Beispiel wäre die Bekämpfung von religiös motivierten Parallelstrukturen durch die demokratisch gewählte Regierung in der Türkei dabei nicht von vorneherein zu verurteilen – so denn sie nach rechtsstaatlichen Verfahren abläuft („rechenschaftspflichtige Institutionen“).